GOTT INS ZENTRUM STELLEN

Worte von Papst Benedikt XVI. an die Kirche in der Schweiz

Der universale, geheimnishafte und festliche Charakter
der Liturgie

MSGR. AMEDEE GRAB O.S.B.

Der Ad-Limina-Besuch, mit dem die Schweizer Bischöfe im November 2006 den Besuch vom Februar 2005 vollendeten, nahm seinen Auftakt nicht etwa mit der Eröffnungsansprache Papst Benedikt XVI. in der Sala Bologna des Apostolischen Palas-tes, sondern vielmehr mit der feierlichen Konzelebration der Liturgie in der von Papst Johannes Paul II. eingerichteten Kapelle Redemptoris Mater. Feierlichkeit verliehen der Liturgie die Gegenwart der den Dikasterien vorstehenden Kurienkar-dinäle, die Erhabenheit des heiligen Ritus, die von einer großartigen Schola cantorum vorgetragenen gregorianischen Choräle und nicht zuletzt die Homilie des Papstes. Dessen «Beobachtung» zur Liturgie, eingeflochten in die folgende Eröffnungs-ansprache, wurde von den Bischöfen freudig aufgenommen, denn sie entsprang dem Geist der zuvor beispielhaft gefeierten Messe und bestätigte den tiefen Wert, welchen die lebendig erfahrene heilige Liturgie auszeichnet. In ihr erhält sich die Kirche vom Herrn her, vereinigt sich mit Ihm im Kreuzesopfer, verkündigt seine Auferstehung in der Erwartung seines Kommens. «Sooft das Kreuzesopfer, in dem Christus, unser Osterlamm, dahingegeben wurde, auf dem Altar gefeiert wird, vollzieht sich das Werk unserer Erlösung. Zugleich wird durch das Sakrament des eucharistischen Brotes die Einheit der Gläubigen, die einen Leib in Christus bilden, dargestellt und verwirklicht. Alle Menschen werden zu dieser Einheit mit Christus gerufen, der das Licht der Welt ist: Von ihm kommen wir, durch ihn leben wir, zu ihm streben wir hin» (Lumen gentium, 3).

Was hier mit den Worten des II. Vatikanischen Konzils in Erinnerung gerufen wird, nahm Papst Johannes Paul II. in der Enzyklika Ecclesia de Eucharistia am Grün-donnerstag 2003 – in Vorbereitung auf das Eucharistische Jahr – auf und entwickel-te es weiter. In der Folge kam das Thema in den Ansprachen des Papstes, den Do-kumenten des Heiligen Stuhles und der Bischöfe während des Eucharistischen Jahres und der Arbeiten der 11. ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode im Oktober 2005 immer wieder zur Sprache. Einigen schien diese Anhäufung über-mäßig. Doch die Kirche kann nicht darauf verzichten, sich anbetend vor dem Ge-heimnis zu verneigen, das sie konstituiert und gleichzeitig der Höhepunkt ihres Handelns ist: Die Eucharistie ist Quelle und Höhepunkt des Lebens und der Mission der Kirche (Bischofssynode 2005).

Aus dieser Warte gesehen und in dieser Tiefe erfasst, kann die Liturgie nicht nur die Messe als Werk eines Rituals sein, welches bloß in unintelligenter Treue zu den Rub-riken wiederholt oder von Mal zu Mal nach dem Geschmack oder den Vorlieben des Zelebranten oder einer Gemeinschaft neu gestaltet wird. Oft wird der Priester ge-fragt, wie er die Messe «machen» wird. Die Frage ist sinnvoll, insofern die Liturgie eine Handlung ist («sacrum litare», «sacrum conficere» sind starke, auf das Handeln bezogene Ausdrücke, so wie das Wort «Liturgie» sich auf ein «ergon», ein Werk be-zieht). Doch der Priester, insofern er Glied des feiernden Gottesvolkes bleibt, handelt «in persona Christi»: Es ist Christus, der zusammenruft und einberuft, das Wort verkündet und das Opfer darbringt. Der Priester ist nicht der Ideengeber der Feier, er ist nicht ihr Herr.

Sicher, in der Kirche gibt es viele Riten. Sie sind vielfältig bei den Orientalen, Ortho-doxen und Katholiken. Die lateinische Kirche hat einige Eigenriten bewahrt (ambro-sianischer, dominikanischer und andere). Der römische Ritus wurde mehrmals er-neuert, unter anderem nach dem Konzil von Trient und in der Folge des Zweiten Vatikanums. Das geschah indes immer so, dass der Zelebrant auf die jeweiligen Nor-men verpflichtet wurde. Die Priesterkandidaten fragt der Bischof, ob sie die Geheimnisse Christi gemäß der Tradition der Kirche treu feiern wollen: Die Treue zu den Rubriken muss aus dieser umfassenden Sicht heraus verstanden werden, die ausschließt, was der Papst in seiner Ansprache an die Schweizer Bischöfe «Selbst-darstellung» der Gemeinde (und natürlich auch des Zelebranten) nennt. Es geht hier nicht um Kleinliches, nicht um die Unfähigkeit, ein Gebet zu formulieren, die Armut des Ausdrucks, den Nicht-Einbezug der Person in den Ritus, Apathie oder rubrizisti-sche Unterwürfigkeit. Es geht vielmehr um die Freude, das zu tun, was die Kirche tut. Demütig will das Geheimnis in die tatsächliche Gemeinschaft des täglichen Le-bens und in deren missionarischen Aufbruch übersetzt werden. Freud und Leid, Ar-beit sowie Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden für alle Menschen wollen in die Feier eingeschlossen sein.

Die Dichte der Feier erwächst ihr nicht aus der Vervielfältigung willkürlicher Zei-chen, der Schaffung nicht-sakramentaler Symbole oder aus Hinzufügungen, von de-nen man meint, sie würden die Wirklichkeit des Alltags wiedergeben. Die Ritualmes-sen anlässlich von Taufen, Firmungen, Weihen, Gelübden, Hochzeiten und Beerdi-gungen berücksichtigen sicher die Personen und die besonderen Umstände des Le-bens einer Gemeinschaft. Es gibt Abstufungen der Feierlichkeit, Auswahlmöglichkeiten von Gesängen, die der liturgischen Zeit angepasst sind, Elemente des Vortragens, die je nach versammelter Gemeinde variieren können. Aber grundlegend bleibt das, was der Papst welcher in den vergangenen Jahren einiges zur Liturgie und auch zur «Liturgiereform» schrieb den Bischöfen sagte: Was zählt, ist «das Hineintreten in das große Mahl der Armen, in die große, lebendige Gemeinschaft, in der Gott uns selber speist… In der Eucharistie empfangen wir etwas, das wir nicht machen kön-nen, sondern treten in ein Größeres hinein, das gerade dann unsrig wird, wenn wir uns in dieses Größere hineingeben und die Liturgie wirklich als Liturgie der Kirche zu feiern versuchen». Die mahnenden Worte von Bischöfen wie die in der Botschaft der Schweizer Bischöfe bzgl. der Instruktion Redemptionis Sacramentum (Freiburg 2005) sind nicht disziplinärer Art; sie sind eine Einladung, tief im Innern das uni-versale Geheimnis zu leben, welches der Kirche von der erlösenden Liebe Christi an-vertraut wurde.

Die Rede vom «geheimnishaften» Charakter der Liturgie wird jemandem vielleicht abstrus vorkommen. Aber «Sakrament» und «Geheimnis» gehören im Innersten zusammen. Sacramentum war für die Römer der Schwur des Soldaten. Für die Christen ist das Sakrament im Sinne der Bundestheologie, wonach Gott mit uns in Christus einen Bund geschlossen hat, wirksames Zeichen der Gnade, Gabe, die die Heiligkeit des in Christus erneuerten Lebens offenbart und besiegelt. Das Leben ist Geheimnis, insoweit es die kognitiven und operativen Fähigkeiten des Menschen übersteigt. Es ist neue Schöpfung. Papst Benedikt spielt im Abschnitt seiner Anspra-che, den er der Homilie widmet, auf die geheimnishafte Komponente der Eucharistie an.

Was die in den deutschsprachigen Diözesen verbreitete Praxis betrifft, die Homilie, zumindest gelegentlich, nicht-ordinierten Diensten (Pastoralassistenten) zu übertragen, unterstreicht der Papst, dass das Kriterium nicht der «größere Profit» sein kann, den die Gläubigen aus der Kompetenz des Predigers ziehen können. Diese von der Eignung des Predigers abhängige, vermeintliche oder tatsächliche Erbauung «ist eben die rein funktionale Sicht». Und er fügt an, «dass die Homilie … ins sakramen-tale Geschehen hineingehört und eben das Wort Gottes in die Gegenwart dieser Ge-meinde hineinträgt. … Sie ist selbst Teil des Mysteriums … und daher nicht einfach aus ihr herauszulösen». Damit leugnet der Papst nicht die Legitimität der allgemei-nen Norm, wonach in der Feier jeder das und nur das machen soll, was ihm zusteht (der Priester ist weder Diakon noch Lektor noch Ministrant noch Kantor, und diese sind ihrerseits nicht Priester), sondern ruft die universale Norm in Erinnerung, nach der die Homilie in der Messe dem Zelebranten zusteht, auch wenn ein anderer Pries-ter oder ein Diakon sie halten können.

Die Schweizer Bischöfe sind demnach aufgerufen, die Norm einsichtig zu machen und befolgen zu lassen. Sie werden mit den Dikasterien der Römischen Kurie in Kontakt bleiben, um in Eintracht mit der universalen Gemeinschaft pastoral verant-wortlich vorzugehen. Mit Nachdruck und Klarheit erinnert der Papst daran, dass die Homilie Teil des gefeierten Geheimnisses in der Eucharistie ist, und indirekt er-mahnt er die Priester, denen die Homilie anvertraut ist, die Würde dieses Geheimnisses zu beachten. Wenn die Homilie, ohne geoffenbartes Wort zu sein, Wort Gottes ist, muss sich der, welcher predigt, verpflichtet fühlen, den verkündeten biblischen Text zu studieren und zu vertiefen, ihn zu meditieren, ihn so auszulegen, dass er den Glauben und das Zeugnis der Zuhörer verlebendigt. Die Verantwortung wiegt schwer, aber sie ist tragbar, weil der Herr jene, welche er das Geheimnis zu verkün-digen aussendet, nicht ihren eigenen Kräften überlässt. Ich erinnere an den Prophe-ten Jeremia: «Ach, mein Gott und Herr, ich kann doch nicht reden, ich bin ja noch so jung. Aber der Herr erwiderte mir: Sag nicht: Ich bin noch so jung. Wohin ich dich auch sende, dahin sollst du gehen, und was ich dir auftrage, das sollst du verkünden... Ich bin mit dir um dich zu retten» (Jer 1,6-8). Uns richtet eine Gewissheit auf: Wir sind alle zum Glaubensgehorsam aufgerufen, und wir vertrauen darauf, dass der Papst uns helfen wird, die Reichweite seiner Ansprache immer besser zu verstehen; wir Bischöfe tragen Verantwortung für die Feier des Geheimnisses und schöpfen daraus als erste Kraft und Freude.

In der Tat, wir werden uns dem Geheimnis nicht öffnen, wenn Leib und Seele nicht in festlicher Stimmung sind. Viele junge Menschen rechtfertigen ihr Fernbleiben von der Heiligen Messe schnell vorschnell mit dem Hinweis darauf, dass es in der Kirche langweilig sei. Dem kann man nicht mit Disco-Musik Abhilfe schaffen, sondern dadurch, dass man die Liturgie wieder als Fest entdeckt. Es geht freilich nicht dar-um, als Festbrüder zu leben oder die Einladung des Evangeliums zur Umkehr auf ein oberflächliches «Gutsein» zu reduzieren, welches das Drama der Sünde und die mo-ralische Verantwortung ausschließt. Vielmehr geht es um den Glauben und die Verkündigung, dass Jesus Christus Sünde und Tod überwunden hat und uns einlädt, als Gerettete zu leben. Im Abschnitt seiner Schlussansprache, die dem «Fest des Glaubens» gewidmet ist, bringt der Papst, vielleicht unerwartet, Fest und Stille in Verbindung, wenn er erklärt, «wie sehr für die Gläubigen einerseits die Stille in der Be-rührung mit Gott wichtig ist und andererseits das Fest des Glaubens, Fest erleben zu können». Er erinnert daran, dass er bei seinen letzten Pastoralbesuchen gesehen habe, wie der als Fest gelebte Glauben die Leute begleite und führe. Dies bestätigt die Erfahrung von vielen Gläubigen, dies bestätigt der freudige Ernst der kontempla-tiven Gemeinschaften, desgleichen die spirituelle Tiefe so vieler kranker und alter Menschen, denen wir begegnen.

In seiner Eröffnungsansprache wollte Papst Benedikt XVI. lediglich «ein paar „erste Vorstöße“ machen, die nicht endgültige Aussagen in den Raum stellen, sondern das Gespräch in Gang bringen wollen». Die Schlussfolgerungen sollten Ausdruck der vollkommenen Einheit von Schweizer Kirche und Universalkirche sein. Den Schweizer Bischöfen, an die sich der Papst mit viel Einfühlungsvermögen und Wärme wandte, werden sich bemühen, dass seine Worte und der gesamte Ad-Limina-Besuch unsere Diözesen erneuern, aufrichten und ermutigen, und wo es nötig ist auch korrigieren und verbessern. Unsere Gemeinschaften sollen wahrhaft Freude erleben, Lebensmut und missionarischen Aufbruch, der sich von der getreuen Feier der Heilige Geheimnisse nährt, der Quelle und dem Höhepunkt des Lebens der Kirche.